Über den Status „älteste Schule" entscheidet ein Fussballspiel
Das Gymnasium Paulinum ist eine der beiden ältesten Schulen Deutschlands. Angesichts der etwas unklaren Quellenlage ist die seit langem strittige Frage, ob das Münsteraner Paulinum oder das Osnabrücker Carolinum die ältere Schule ist, historisch-wissenschaftlich nicht zu klären. Seit 2001 entscheiden die beiden Schulen die Frage deshalb sportlich: Bei dem alljährlichen Fußballspiel möge stets die Ältere gewinnen!
Eine Schule in Entwicklung
Seit 797 lehrt und lernt man am Gymnasium Paulinum, einem der ältesten Gymnasien Europas.
Seit über 1200 Jahren verändert sich diese Schule: Nach Jahrhunderten in kirchlicher, später staatlicher Trägerschaft ist das Paulinum jetzt ein städtisches Gymnasium mit erweiterter Autonomie. Mädchen haben das frühere Jungengymnasium längst erobert.
Die Leitbegriffe der Humanisten und der Reformer der Aufklärung, die Verpflichtung des Wissens auf das Gewissen und das Interesse an der Selbstständigkeit und Mündigkeit der Lernenden lenken auch weiterhin die Arbeit am Gymnasium Paulinum.
Nach Jahren erfolgreichen gemeinsamen Engagements im Modellversuch „Selbständige Schule" gestalten die Eltern, Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer des Paulinum die Zukunft ihrer Schule auch weiterhin sehr bewusst „eigenverantwortlich". Das regelmäßig - zuletzt im Herbst 2021 - erneuerte Schulprogramm dient dabei als Handbuch der internen Entwicklungsarbeit. Dabei tritt neben der musischen und naturwissenschaftlichen Ausrichtung auch die internationale Orientierung der Schule immer deutlicher in den Vordergrund.
schola paulina
Nach der Unterwerfung der Sachsen fügte Karl der Große die eroberten Gebiete in sein fränkisches Reich ein. Ein wesentliches Instrument seiner Politik war dabei die Christianisierung der ehemaligen Gegner. So wurde Liudger, ein geistlicher Gelehrter, von Karl dem Großen beauftragt, im westsächsischen Mimigernafort ein Kloster als Missionszentrale zu errichten.
Schon 789 hatte ein karolingisches Reichsgesetz verbindlich vorgeschrieben, dass an allen Klöstern und Bischofssitzen durch die Einrichtung einer „schola" für die Ausbildung von Priestern gesorgt werde. So wird es auch bei der dem Apostel Paulus geweihten Einrichtung Liudgers auf dem Horsteberg spätestens 797 eine solche „Schule" gegeben haben, die „schola paulina".
So lernten also im Rahmen einer geistlichen Lebensgemeinschaft jedenfalls seit dem späten 8. Jahrhundert auch am Horsteberg in Mimigernafurt junge Kleriker und Mönche alles, was sie für ihr Leben im Domstift oder Kloster brauchten: „die Psalmen, die Schrift, den Gesang, das Berechnen der kirchlichen Festtage und die lateinische Grammatik", wie es in dem Gesetz von 789 heißt.
Erst ab dem 10. Jahrhundert entwickelte sich neben der bischöflichen Klosteranlage („monasterium"), deren Teil die „schola paulina" war, eine Kaufmannssiedlung. Sie wurde zum Kern der neuen Stadt Münster.
Soweit es hier und im Münsterland überhaupt eine intellektuelle Kultur gab, war sie in den nächsten Jahrhunderten „paulinisch" geprägt, und allein die „schola paulina" vermittelte mit dem Latein die übernationale Verkehrssprache jener vergangenen Epoche.
Humanismus
Der Schulbetrieb hatte sich bis zum späten Mittelalter ausgeweitet und verselbstständigt, genügte aber um 1500 den erweiterten Anforderung nicht mehr.
Ein Mensch in vollem Sinne brachte im Verständnis der italienischen Renaissance seine „humanitas" vor allem durch eine - damals nur als lateinisch vorstellbare - Sprachbildung zum Ausdruck, die ihn zum öffentlichen Gebrauch von Wort und Schrift, zur klaren Einsicht in die Struktur der geistlichen und weltlichen Literatur und der dadurch vermittelten Wirklichkeit befähigte.
So wurde die „schola paulina" etwa ab 1500 einer gründlichen Reform unterzogen: Neue Lehrer, die der humanistischen Bewegung nahe standen, wurden berufen, neue, gedruckte Lehrbücher für den Lateinunterricht wurden angeschafft, und das Paulinum führte - vielleicht sogar als erste höhere Schule Deutschlands - das Griechische als Unterrichtsfach ein.
Unterrichtsmethoden mit höherer Rationalität und Systematik und die Öffnung der Schule gegenüber dem städtischen Leben stützten diesen Reformprozess, mit dem auch ein rapides Wachstum der Schule begann. Als führende Bildungseinrichtung in Nordwestdeutschland fand das Paulinum jetzt seine Schüler in einem ausgedehnten Einzugsgebiet, das bis in die Niederlande und zur Ostsee reichte. „International" ausgerichtet war das Paulinum schon damals!
Die Übernahme der Schule durch den Jesuitenorden (1588) bedeutete keinen Abbruch dieser dynamischen Entwicklung: 1592 besuchten bereits 1120 Schüler das Paulinum, das 1593 vom Horsteberg an die Aa in einen neuen Gebäudekomplex mit der Petrikirche verlagert wurde.
Aufklärung
Nach der Aufhebung des Jesuitenordens (1773) prägte vor allem Franz von Fürstenberg als Minister und Generalvikar des Fürstbischofs die Umgestaltung des Paulinum im Zeichen der (katholischen) Aufklärung.
Eine enge personelle Verflechtung mit der ebenfalls 1773 gegründeten Universität sorgte für einen hohen Unterrichtsstandard, der das Paulinum auch für die aufgeklärten Schulreformer zum Erprobungsfeld neuer Fächer und Methoden qualifizierte (u. a. Einführung des Geschichts-, Mathematik- und Erdkundeunterrichts; Aufwertung des deutschen Sprachunterrichts).
Auch nach der Übernahme der Schulhoheit durch die preußische Verwaltung (1815) blieb das Paulinum de facto eine Art Landesgymnasium mit zentraler Funktion: Hier wurden schulische Reformprozesse erprobt, die dann später auch in den anderen Schulen der Region umgesetzt werden sollten.
Preußen
Nach dem Wiederanschluss Münsters an Preußen (1815) wurde auch das Paulinum in eine Schulreform eingebunden, die auf die Effizienzsteigerung und Standardisierung des höheren Schulwesens zielte. Spätestens um die Mitte des Jahrhunderts entsprach das „Königliche Paulinische Gymnasium in Münster" mit seinem neunjährigen Abiturbildungsgang den Anforderungen des preußischen Ministeriums und zählte so zu den privilegierten Schulen des Landes.
Die damit gesicherten Standards blieben bis in das frühe 20. Jahrhundert gewahrt. Berichte aus den zwanziger Jahren der Weimarer Republik bestätigen dem Paulinum, auf der Grundlage eines fortdauernd hohen Leistungsanspruchs seine Rolle als „Mutteranstalt der Schulen unserer Provinz" weiterhin erfolgreich wahrzunehmen.
Wenig später und erstmals in seiner Geschichte wurde das Paulinum dann jedoch zur Randerscheinung des Münsterschen Schulwesens und büßte massiv an Schülern ein: Der NS-Staat griff zwar nicht mit letzter Konsequenz in den Bestand dieser Schule ein, aber unter den Bedingungen einer „völkisch" und totalitär ausgerichteten Gesellschaft rückte ein Gymnasium, das seine humanistische Tradition - unter Verdrängung auch objektiver Reformnotwendigkeiten - zu wahren suchte, an die Peripherie der öffentlichen Wertschätzung: Das Kollegium war inzwischen überaltert, die Schülerzahlen gingen drastisch zurück. Die Zerstörung des Schulgebäudes in dem Luftangriff vom 10. Oktober 1943 traf eine Schule, deren struktureller Niedergang schon vorher begonnen hatte.
Selbstständigkeit
Die Wiedereröffnung des Staatlichen Gymnasiums Paulinum vollzog sich 1945 in den Räumen des Schillergymnasiums, die beide Schulen gemeinsam nutzten, bis das Paulinum 1957 am heutigen Standort wieder ein eigenes Gebäude erhielt. Dem äußeren Wiederaufbau folgten Jahre der Bildungsreform und -expansion, die nach 1965 auch das Paulinum veränderten. Die Übernahme der Trägerschaft durch die Stadt Münster markierte dann 1974 ebenso einen deutlichen Einschnitt wie 1978 die Einführung der Koedukation, die das Paulinum für Mädchen öffnete. 1980/81 hatte die Schule fast 1000 Schülerinnen und Schüler.
Nach dem dann einsetzenden massiven Rückgang der Nachfrage eröffnete die von den Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und Schülerinnen und Schüler des Paulinum mit großer Mehrheit getragene Entscheidung, sich an dem Schulversuch „Selbstständige Schule" zu beteiligen (2002), der Schule neue Freiheiten der inneren Gestaltung und band sie intensiver als zuvor in die kommunale Bildungslandschaft ein. Die Stabilität der damit deutlich gewachsenen Schülerzahlen bestätigte diese qualitativen Entwicklungen auch langfristig. An die positiven Erfahrungen des Schulversuchs knüpft das Paulinum heute im Rahmen seiner „Eigenverantwortung" weiter an.
Die methodische Erneuerung der Unterrichtsarbeit, die systematische Einbindung von außerschulischen Kompetenzen, die konsequente Förderung aller Schülerinnen und Schüler entsprechend individueller Potenziale, der bewusste Umgang mit der Internationalität der Schülerschaft und die Gestaltung der Schule als Ort eines umfassend „gesunden" Lebens und „nachhaltiger" Entwicklung sind dabei die leitenden Ziele, um deren Realisierung sich das Paulinum weiter bemüht.